Tag 27 ... Mashhura

Tadschikistan / duschanbe

Dushanbe > Vahdat.

 

Während die anderen Fahrer auf dem Händlerparkplatz hektisch die Spuren der Rallye von ihren Boliden beseitigen, scharen sich schon einige Käufer um die Fahrzeuge und lassen sich die Details erklären. Allen tut es in der Seele weh, ihre Gefährte in fremde Hände zu geben, denn auch wenn der Verkauf zugunsten von Caritas ist: wir alle haben unsere so treuen und insgesamt komplikationslosen Autos auf den zurückliegenden Kilometern echt ins Herz geschlossen. Währenddessen lassen wir unseren Sepp nur vom Staub der letzten Tage befreien, um ihn für die Übergabe an Mashhura und ihrer Mutter möglichst glanzvoll in Szene setzen zu können.

 

Der geplante Notartermin zur Übergabe der Autos an die Caritas wurde zwar als langwierig und nervend angekündigt, erweist sich aber als wirklich große Geduldsprobe. Der erste Notar schickt uns nach langen Diskussionen mit Parvina wieder weg. "Er will uns nicht haben", sagt sie, telefoniert und fährt mit uns zum nächsten. Der Import unserer Autos samt Überschreibung auf einen Käufer scheint zu weit über die übliche Routine hinauszugehen und die Gesetzeslage unklar zu sein. Mit unserem speziellen Fall scheint erst recht niemand so echt umgehen zu können, da wir das Auto zu allem Überfluss noch an ein Mädchen verschenken, das aufgrund ihrer Behinderung nicht mal einen Führerschein hat. So müssen wir nach rund zwei Stunden unverrichteter Dinge erst mal wieder gehen. Denn für uns hat die Caritas noch eine Überraschung parat. Salima, die in den Semesterferien ehrenamtlich für die Caritas arbeitet, nimmt uns mit zu zwei Einrichtungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der künftigen Verwendung unseres Caddys stehen.

 

Sport als Therapie für behinderte Kinder und Jugendliche steht dabei im Mittelpunkt. Die Organisation "Special Olympics" Tajikistan spielt in Dushanbe eine wichtige Rolle bei der Förderung geistig behinderter Kinder. Salima zeigt uns ein staatliches Sport-Internat für geistig behinderte Kinder, in dem künftig dank der Tajik-Rally-Spenden auch Sozialarbeiter der Caritas ausgebildet werden. Eingesetzt werden sie anschliessend in einer Sporthalle in Vahdat, die mit unseren Spenden behindertengerecht ausgebaut und ausgestattet werden soll. Und wie kommen die Kinder dorthin? Mit unserem Caddy Sepp! Ist das nicht großartig?

 

Großartig ist auch der Empfang, der uns im Internat erwartet. Als sich das hohe Metalltor an der Straße für uns öffnet und wir mit Sepp auf den Schulhof fahren, trauen wir unseren Augen nicht. Die gesamte Schülerschar hat sich für uns versammelt. Herausgeputzt in Schuluniformen oder in Sportanzügen, geschmückt mit Haarbändern, Krawatten oder mit den bei verschiedenen Sport-Wettbewerben errungenen Medaillen. Die Schulleitung empfängt uns mit selbst gebackenem Fladenbrot, einzelne Schüler tanzen und musizieren für uns. Wir sind überwältigt. Die Sporthalle ist mit Luftballons und Blumen geschmückt und riecht nach frischer Farbe. Die Kinder zeigen, was sie besonders gut können: Tischtennis, Ballspiele, Gymnastik. Ein kleiner Junge will unbedingt für uns tanzen und sofort gesellt sich ein kleines Mädchen dazu. Sobald die Musik erklingt, versinken die beiden mit großer Freude in ihrer Bewegung. An der Wand steht ein kleines Pult mit gerahmten Fotos vom Präsidenten. Stolz wird berichtet, dass er im Sommer höchstpersönlich das Internat besucht hat. Der Empfang für ihn kann nicht herzlicher gewesen sein, als für uns... Wir dürfen uns sogar ins Gästebuch eintragen und werden reich beschenkt.

 

Unsere nächste Station ist die Sporthalle in Vahdat, in der bereits jetzt mit Hilfe der Caritas behinderte Kinder von Trainern und Sozialarbeitern betreut werden. Die Halle ist in einem bedauernswertem Zustand. Wie hoch das veranschlagte Budget zum Ausbau der Halle ist, möchten wir wissen. Darüber trauen sich die Beteiligten keine Auskunft zu geben. Ihre Maßnahmen richten sich nach dem Spendenaufkommen. Alle Beteiligten sind einfach nur dankbar für jeden Sumoni mit dem hier behinderten Kindern das Training ermöglicht werden kann. Der Zulauf ist schon jetzt groß und mit unserem Sepp sollen künftig noch mehr Kinder aus der Umgebung in die Halle transportiert werden. 

 

Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte sind für uns jedoch Mashhura und ihre Familie. Mashhura (18) hat aufgrund ihrer geistigen Behinderung eine spastische Lähmung. Auch ihre Mutter Niso wurde nach der Geburt Mashhuras von ihrem Mann verlassen. Niso hatte Glück und wurde mit Mashhura wieder von ihren Eltern aufgenommen, was hierzulande alles andere als selbstverständlich ist. Mashhuras Großvater war in den 60-er Jahren tadschikischer Fußballmeister und von Anfang an der Überzeugung, dass Sport die beste Therapie sei. Nisos Großmutter hat als Ärztin und Physiotherapeutin ebenfalls alles menschenmögliche für die Förderung ihrer Enkelin getan. Niso selber hat sich eines Tages als betroffene Mutter bei der Caritas gemeldet und dort mit Mashhura Therapiestunden besucht. Später hat sie sich selber als Sozialarbeiterin ausbilden lassen und ihr Wissen um die Förderung behinderter Kinder weitergegeben, größtenteils ehrenamtlich. Für ihre Tochter werden wir ihr nun unseren Sepp anvertrauen - mit der Auflage, damit auch andere Kinder zur Sporttherapie nach Vahdat zu bringen. 

 

Wir fiebern der Begegnung mit dieser wunderbaren Familie entgegen. Und werden so unglaublich herzlich empfangen, dass uns fast die Luft wegbleibt. Mashhura und ihr Großvater singen "Kuckuck, Kuckuck, ruft's aus dem Wald" für uns! Wir überreichen Mashhura ein TaChicks-Shirt, dass es in dieser Form nur genau 3 x gibt, und werden zum Taptschan unter einem Dach aus Weinreben geführt. Er quillt über vor Leckereien, dampfende Schüsseln mit dem Nationalgericht Plov werden aufgetragen. Zu gerne würden wir uns in aller Ruhe setzen und die versammelte Familie ein wenig besser kennenlernen. Doch Salimas Handy klingelt hartnäckig: der Notar, der heute morgen nicht wußte, was er mit uns anfangen sollte, wartet angeblich nur noch auf uns. Es ist Freitag und eigentlich habe er längst Feierabend. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Rührung und Enttäuschung. Hier bei Mashhura zu sein ist der Sinn unserer Reise, doch die tadschikische Bürokratie will es anders... 

 

Uns bleibt nichts anderes übrig, als Mashhura überwältigt und wehmütig zugleich am Auto unsere beiden Schlüssel zu übergeben: einen mit Schutzengel, der uns rund 8.500 km lang behütet und begleitet hat (Danke Meike und Ferdl!), und einen mit einem kleinen Kompass, der uns (fast) immer den richtigen Weg gewiesen hat. 

 

Unser Weg ist hier, am emotionalen Höhepunkt unserer Reise, zu Ende. 

Unsere Komfortzone war es in den letzten vier Wochen auch. Ein bisschen. Und das hat sich ziemlich gut angefühlt. Neale Donald Walsch und Borris Förster haben jedenfalls recht:

 

"Life begins at the end of your comfort zone." 

 

 

song des tages

Leonard Cohen

"Hallelujah"

danke!!!!



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Kommentare: 4
  • #1

    Wojtek (Freitag, 06 Oktober 2017 21:13)

    ....einfach klasse !

    LG W.

  • #2

    Henning (Mittwoch, 11 Oktober 2017 13:43)

    Grosser Respekt für euch und danke für den toll geschriebenen Blog!

  • #3

    Stefan Rentzow (Montag, 16 Oktober 2017 17:05)

    ich hatte beim lesen eine Gänsehaut! Toll, dass das alles so geklappt hat und Ihr nicht nur Mashhura sondern noch viele andere Kinder glücklich machen konntet. Ihr könnt wirklich Stolz sein. LG aus HH

  • #4

    Thyra (Freitag, 20 Oktober 2017 10:17)

    Wow ! Eben kamen mir die Tränen beim Anblick von Mashhura und euren Beschreibungen ! Einfach fantastisch !!! Grüße aus Weimar